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(Stand: 16.03.2017)

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Märkische Allgemeine


Neue Nauener Rundschau 04.01.1992



Ein vergessenes Dorf hofft dennoch auf Touristen

Von den 610 Bredowern ist schon heute ungefähr die Hälfte ohne festen Arbeitsplatz, und ihre Zahl scheint noch zu wachsen.

Fährt man auf der Eisenbahnstrecke Nauen - Berlin - Spandau wenige Minuten, so erreicht man das Dorf Bredow. So gut wie nie verläßt hier jemand den Zug, selten steigt einer zu. Sobald der Doppelstöcker eingefahren ist, kommt der Bahnhofswärter gemächlich aus seinem Häuschen, schaut einmal die Wagen auf und ab und gibt das Signal zur Weiterfahrt. Dann bleibt er noch einen Moment stehen, blickt dem ausfahrendem Zug nach und kehrt in sein Häuschen zurück, das er in einer Stunde zum gleichen Zweck wieder verlassen wird.

Der Weg ins Dorf führt über schlammige, ausgetretene Pfade vorbei an kleinen Gärten, entlang an selbstgebauten Ställen, in denen Gänse gehalten werden, und irgendwo in der Ferne bellt ein Hund. Viel Natur und Ruhe, kein Mensch ist unterwegs. Man möchte glauben, es sei die klassische Idylle.

Doch so rosig sieht es in dem alten Ritterort Bredow, erstmals 1251 erwähnt [Anm. 2009: 1208 ist richtig], nicht aus, und davon weiß auch der Bürgermeister Dietrich Grunwald ein Lied zu singen. Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot seien die drängendsten Probleme. Er spricht aber auch von fehlenden Geldern für dringend notwendige Modernisierungsarbeiten an Gebäuden sowohl bei den Außenfassaden als auch innen, was die sanitären Anlagen betrifft - nur etwa die Hälfte der 270 Wohnungseinheiten hat eine Innentoilette, noch nicht einmal ein Zehntel fließend warmes Wasser.

Das Arbeitszimmer im Haus des Gemeinderates hat sich Dietrich Grunwald nach seinem Geschmack eingerichtet. Neben Souvenirs an der Wand und im Regal aus dem Westort Burbach - heute die Partnergemeinde Bredows [Anm. 2009: Auf der Internetseite Burbachs findet sich dafür keine Bestätigung.] - finden sich auch zwei Bände von Fontane. Auf dem Besuchertisch steht ein kleiner Strauß frischer Blumen in einer Vase, auf der Schreibtischplatte private Andenken und Kleinigkeiten.

Der gelernte Elektroingenieur, der sich selbst als deutschnational bezeichnet, ist seit 1988 Bürgermeister von Bredow. 1990 wurde er in freier und geheimer Wahl im Amt bestätigt. Zu DDR-Zeiten war er Mitglied der SED, nach der "Wende" sofort ausgetreten, ist er jetzt parteilos. Offen gibt er zu, daß er schon in den 50er Jahren der Partei beigetreten war, um nicht Nachteile in der beruflichen Laufbahn zu riskieren, denn sein Vater war bei der SS-Heeresabnahme gewesen.

Um acht Uhr früh fängt sein Dienst an, meistens bleibe er bis 18 Uhr, wenn es nicht anders gehe, könne es auch schon mal halb neun werden, manchmal sogar noch später. Eine 60-Stunden-Woche sei keine Seltenheit. Bei den Problemen, die sich auf Dietrich Grunwalds Schreibtisch häufen und fast unüberwindbar scheinen, liegt die Frage nach dem Aufgeben nahe. "Noch habe ich nicht resigniert, aber ich bin kurz davor."

Eine besondere Altlast der DDR ist der Alkoholismus, der überall in den neuen Bundesländern - noch zusätzlich verschärft durch die ständig zunehmenden Schwierigkeiten - anzutreffen ist. Auch in Bredow? Dietrich Grunwald sagt: "Alkohol tötet die Aggressionen ab - da haben wir auch mal einen genommen. Man hat's oft nicht anders ausgehalten. Das war eine Flucht, denn ab einem gewissen Punkt hat man die Nase voll."

Bahnhof 1992
Das größte Hindernis auf dem Weg zur Lösung all der anstehenden Probleme sind die fehlenden Finanzmittel. Da müsse man improvisieren, näher wolle er sich dazu aber nicht äußern. Besonders wütend ist der Bürgermeister auf das Landratsamt, das Bredow nicht unterstütze. Auf Fördermittelnaträge, Anfragen beim Dezernenten für Wirtschaft und einen erstellten Flächennutzungsplan sei entweder ablehnend oder überhaupt nicht reagiert worden. Parteipolitische Interessen führten zu Fehlentscheidungen, zumal die "alten Seilschaften" noch immer am Ruder seien. Das alles kümmert die Bredower wenig, wenn sie mit ihren Sorgen zu Dietrich Grunwald kommen. Seien es die Mieterhöhungen oder die untragbaren Wohnverhältnisse, fehlende Telefone, die katastrophale Infrastruktur (unbefestigte Straßen ohne Gehweg und Beleuchtung) oder das nitratverseuchte Grundwasser - guter Rat ist nicht so einfach. Immer wieder weist er die Bürger darauf hin, Wohngeldanträge zu stellen und sich auch selbst zu informieren, denn jedem einzelnen könne er die Formulare nicht ausfüllen. Und dann ist da natürlich die Arbeitslosigkeit. Von den 610 Bredowern ist heute ungefähr die Hälfte ohne Erwerbstätigkeit, und ihre Zahl wächst noch.


GmbH wäre die Rettung

Schräg gegenüber vom Gemeindeamt hat die LPG (Wikipedia) ihren Sitz. Edeltraud Hellendrunk ist in der Lohnbuchhaltung beschäftigt. Sie ist eine von knapp 50 Mitarbeitern, die ihren Arbeitsplatz behalten haben, doch fürchtet sie, zu den Kollegen zu gehören, die schon bald auf der Straße stehen werden, denn die Belegschaft soll noch einmal um die Hälfte reduziert werden. "Die jüngeren Handwerker habenm fast alle wieder Arbeit gefunden. Viele pendeln täglich nach West-Berlin. Aber wer will mich mit über 50 noch mal einstellen."

Ursprünglich waren in der LPG die Pflanzen- und die Tierproduktion zusammengefaßt. Mitte der 70er Jahre war die Pflanzenproduktion, die die größten Gewinne erwirtschaftete, nach Zeestow umgesiedelt worden. Bis zum Ende der DDR (Wikipedia) arbeitete die Genossenschaft, die seitdem nur noch für die Tierproduktion zuständig war, mit hohen Verlusten. Unter den Bedingungen der freien Marktwirtschaft ließen sich die ehemals 200 Mitarbeiter nicht mehr halten, es mußte rationalisiert werden. Als letzte Chance vor dem drohenden Untergang, bleibt die Möglichkeit, ihn in eine GmbH umzuwandeln.

Wirft man einen Blick auf die vorhandenen Anlagen der LPG, möchte man an diesem Vorhaben jedoch zweifeln. Verschrottete Traktoren, zerstochene Reifen, Müll und verrostetes Gerät sind auf dem Gelände verstreut. Die ehemaligen Gutshöfe, die zu Ställen umfunktioniert wurden, stehen zum großen Teil leer. Alle sind in einem Zustand, daß sich eine Instandsetzung wohl kaum lohnen dürfte. Zudem ist der Betrieb so hoch mit Altschulden belastet und eine rentable Produktion nicht gewährleistet, daß die Kreditwürdigkeit stark in Frage gestellt ist.

Das alles macht auch dem stellvertretenden Vorsitzenden Zeidler große Sorgen. Er macht der Kommune den Vorwurf, daß sie der zukünftigen GmbH teilweise zusätzlich Steine in den Weg gelegt habe.


Die Kirche ist gut besucht

So wurde gefordert und vor kurzem auch durchgesetzt, daß die Schweinezucht außerhalb von Bredow einen Standort finden müsse. Die Bevölkerung hatte schon seit Jahren Anstoß daran genommen, daß der Unrat ungeklärt in den Boden ging und der Gestank unerträglich war. Schließlich mußte die Schweinezucht verkauft werden.

Auf der anderen Seite der Straße beginnt der Dorfkern, in dessen Mitte die im vergangenen Jahrhundert errichtete Kirche steht. Die Besucherzahlen bei den sonntäglichen Messen sind hoch, höher als zu Zeiten des real-existierenden Sozialismus.

Von dem ehemaligen Schloß, das den Platz früher abschloß, stehen nur noch zwei Flügel, heute Mietshäuser. Dahinter der Schloßteich, dessen Anblick an sonnigen Tagen einlädt zu einer kurzen Ruhepause.

Nebenan die Bäckerei von Bredow. Der Besitzer Roberto Eue hat alle Hände voll zu tun. Er und seine beiden Kollegen, Kleidung und Haare von Mehl weiß gefärbt, stehen in der brütendheißen Backstube zwischen Öfen und Blechen mit Teigware. Stolz ertählt er: "Alles, was vorne verkauft wird, wird hier gebacken."

Der helle, gerade renovierte Verkaufsraum und die appetitlichen Backwaren lassen erkennen, daß man sich hier um die Kunden bemüht. Bedient werden sie von der Ehefrau des Besitzers. An der Wand sind die Meisterbriefe des Großvaters, des Vaters und der eigene aufgehängt.

Auch dem Ehepaar Eue weht der ungewohnte Wind des neuen Systems entgegen. Die Preise liegen immer noch unter dem Westniveau, aber eine Erhöhung war unumgänglich, da auch die Ausgaben stark gestiegen sind. "Trotzdem macht es uns jetzt viel mehr Spaß, den Laden zu führen, weil wir alle Zutaten, die wir brauchen, im Handumdrehen bekommen."


Im Volksmund Hütten oder Buden


Auf dem Weg zur einzigen Gasttätte Bredows wird dem aufmerksamen Beobachter noch einmal ein bizarres Bild geboten - die Tagelöhnerhöfe. Die im Volksmund nur "Hütten" oder "Buden" genannten, winzigen, einstöckigen Häuschen sind in Zeilen angeordnet. Vor jeder Tür ein etwa zwei Quadratmeter großes Beet, auf dem die meisten liebevoll und mit viel Sorgfalt und Mühe ein paar Blumen oder ein wenig Gemüse pflanzen.

Frau Schild
Gleich im ersten Haus wohnt Frau Schild. Sie ist 82 Jahre alt und lebt hier seit mehr als drei Jahrzehnten. Wegen einer Gehbehinderung fällt es ihr zunehmend schwerer, die 200 Meter Fußweg zur Außentoilette zu machen. Beim Wasserholen hilft ihr eine Nachbarin. Frau Schild wohnte auch gerne in einer der Neubauwohnungen jenseits der Straße, in denen Toilette und Warmwasserleitung eingebaut sind. Resigniert meint sie: "Da wollen ja alle rein. Ich glaube nicht, daß ich das noch erlebe, und hier baut mir niemand mehr etwas ein - der Aufwand wäre viel zu groß. Und so wie das hier aussieht, ist sowieso nichts mehr zu retten. Dafür haben sie mir gerade die Miete von 20 auf über 80 Mark erhöht - für diese Hütten."

In den Tagelöhnerhöfen wohnen vorwiegend alte Leute, die nicht mehr so mobil sind, daß sie sich ohne weiteres eine neue Bleibe im Nachbarort suchen könnten. Mit ihren niedrigen Renten wären für sie die teuren Mieten ohnehin unbezahlbar. "Die jungen Leute sind doch längst alle weg von Bredow. Die haben hier auch nichts mehr verloren."


Einer sagte, was andere denken


Zwei Häuser weiter wohnt ein alter Mann. Dort klebt der Schimmel an den Wänden, die Tapeten blättern ab, und alle Versuche, die Feuchtigkeit aus dem Gemäuer zu ziehen, waren vergeblich. Damit der Weg zur Toilette in der Nacht nicht so weit ist, hat er sich im Stall gegenüber einen Notbehelf eingebaut, und an besonders kalten Tagen steht in der Küche ein "Pullereimer" bereit.

Eine andere Bewohnerin ist in ihrer Wohnung auch schon einmal von einer Ratte gebissen worden, und manch einer wurde in dieser bedrückenden Lage zum Alkoholiker. Unmut beginnt laut zu werden. Der Bürgermeister sei noch nie hier gewesen. Einer spricht aus, was die meisten offenbar denken: "Der soll mal hier hausen."

Wer aufgrund solcher Eindrücke nicht fluchtartig den Ort verläßt und noch ein paar Mark übrig hat, der wird in dem nahegelegenen Gasthof Grünefeld mit einem guten Essen und einem gepflegten Bier belohnt. Seit 1925 ist die Restauration im Besitz der Familie, mittlerweile in der 3. Generation. Bis 1954 gab es in Bredow vier Gaststätten, nur die Grünefelds konnten sich halten. Das Ehepaar, das mit sechs Angestellten arbeitet, die alle aus Bredow kommen, mußte niemanden entlassen. Klaus-Hermann Grünefeld: "Wir setzen alles daran, die Arbeitsplätze zu erhalten. Zur Zeit arbeiten wir kostendeckend, aber irgendwie geht es."

Die Gaststube verbreitet Gemütlichkeit. Auf Bänken oder Stühlen sitzt man an großen runden Holztischen, gedeckt mit weiß-braun-karierten Decken; Alles macht einen sauberen Eindruck. Insbesondere Besucher aus den alten Bundesländern, die nach einem Wochenendausflug häufig hier einkehren, genießen die schlichte Einrichtung, die ohne Firlefanz auskommt. Die Preise für Getränke und Essen - ein Kotelett mit Beilagen ist mit 9.90 Mark das teuerste Gericht - liegen weit unter denen in den Altbundesländern üblichen, und trotzdem wird großer Wert auf Kochkunst gelegt. Das führt dazu, daß die Gäste, einmal dort gewesen, immer wieder gerne kommen und aufwendige Werbung überflüssig wird.

Eine der Angestellten ist Britta Friedrich. Heute arbeitet sie im Service und bedient, aber sie stellt fest, daß hier alle alles machen, deswegen auch das Klima unter den Kollegen so gut sei und jedem die Arbeit großen Spaß mache, insbesondere da der Druck einer drohenden Entlassung entfalle. Frau Friedrich erlebt die Probleme, mit denen die Gäste kommen, hautnah mit. Sie sagt: "Auch die Arbeitslosen trinken ihr Bierchen und können hier einmal über ihre Sorgen und Nöte sprechen, von denen es wirklich nicht wenige in Bredow gibt. Die Menschen, die sind fertig, und vom Bürgermeister kommt keine Rückendeckung." Den letzten Satz spricht sie sehr langsam und traurig, zumal ihr einiges auch schon selbst widerfahren ist. Mit ihren zwei kleinen Kindern mußte sie für die Zeit, in der ihre Wohnung mordernisiert wurde, ebenfalls auf den Tagelöhnerhöfen wohnen. Im August dieses Jahres zog sie wieder dort ein, muß jetzt aber wegen der eingebauten sanitären Anlagen, Standard in der Bundesrepublik, 642 DM Miete zahlen.

Seit seinem Bestehen gehört Britta Friedrich dem Mieterbund in Bredow an. Der fand heraus, daß generell mit den wucherartigen Mieterhöhungen im Ort etwas nicht stimmen konnte. Die Mieten, so Frau Friedrich, seien vom Bürgermeister allein und ohne Absprache festgesetzt worden; dabei habe der Mieterbund Gesetzeswidrigkeiten festgestellt. Nun sollen alle erhöhten Mieten von Dietrich Grunwald neu überarbeitet werden - wieder allein.

Alle Angestellten der Grünefelds sind sich in ihrem Urteil über Bürgermeister Grunwald einig, daß er nicht mit den Bürgern zusammenarbeite und sich wohl auch nicht richtig für sie einsetze. Die Bediensteten schätzen, daß etwa 60 von 100 Bredowern den alten Bürgermeister Detlev Woita bevorzugten, der bis 1988 das Amt inne hatte, obwohl er, wie eine der Frauen meint, eine "rote Socke" sei. Auf einer öffentlichen Versammlung, so berichtet sie weiter, habe er statt des Bürgermeisters die richtigen Antworten gegeben. Und daß er PDS-Mitglied (Wikipedia) ist, störe die meisten nun auch schon nicht mehr. Obwohl sie sich von Dietrich Grunwald im Stich gelassen fühlen, geben sie alle zu, daß keiner hier den Mut habe, offen zu sagen, was sie über ihn denken.


Dennoch Hoffnung auf Touristen

Bei diesem Unmut ist allen ihre Arbeit eine wichtige Stütze, und man könnte den Betrieb der Grünefelds auch als große Familie bezeichnen, die nach auße zusammenhält. Daher freuen sich alle gleichermaßen über den geplanten Ausbau der Fremdenzimmer, der bis zum Sommer des kommenden Jahres fertiggestellt sein soll, auch wenn das zusätzliche Arbeit bedeutet. Dann, so hofft Frau Grünefeld, könnte Bredow ein wirkliches Touristenziel werden und der Ort von dem zehren, was er einmal war - ein wunderschöner Ritterort mit eine langen Geschichte.


Judith von Bresinsky
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